Christoph Karrasch, deutscher Reisejournalist, war unterwegs an der Ostsee und hat uns im Hotel „Hohe Wacht“ und im Hotel „Haus am Meer“ besucht.
Um eines gleich vorwegzunehmen: In dieser Geschichte wird nicht viel passieren – und das ist auch genau der Grund, warum ich sie schreibe. Denn: Neulich sind wir im Freundeskreis auf das Glück zu sprechen gekommen. Ich erzählte von meinen Tagen als Glücksreporter für diesen Blog, als ich die Frage gestellt bekam, wie ich das Glück in Schleswig-Holstein denn immer so einfach finden würde, das sei ja nun schon ein sehr komplexes Thema, das mit dem Glück.
Bisher fiel es mir in der Tat nicht sonderlich schwer, Glücksmomente einzufangen. Das Wattwandern vor Amrum, der erfrischende Sprung in den sommerlichen Ratzeburger See, der Reitausflug auf dem Priwall-Strand – Schleswig-Holstein macht es einem ja nun mal leicht. Aber es ist schon was Wahres dran: Das Glück ist komplex. Es gibt wahrscheinlich kaum ein Empfinden, das sich für uns Menschen grundsätzlich gleich anfühlt, dabei aber aus abertausend unterschiedlichen Ursachen entspringen kann.
Um es ganz einfach auszudrücken: Bisher hatte mein Glücksempfinden in Schleswig-Holstein hauptsächlich mit besonderen Aktivitäten zu tun. Dabei besteht Urlaubsglück für viele ja auch aus dem wohligen Gefühl, einfach mal nichts zu tun, sich nichts vorzunehmen, keine Ausflüge zu planen – und genau das möchte ich jetzt auch mal erleben.
Glück beim Ausspannen und Tagträumen
Auf der Suche nach dem passenden Schauplatz werde ich schnell fündig: Die Straße, die zu dieser Ostseeidylle führt, ist nur für sie gebaut worden, sie ist der einzige Pfad, der zu ihr hin- und wieder von ihr wegführt. Niemand kommt zufällig hierher – die Straße ist eine Sackgasse und der Ort die wohlverdiente Endstation. Auf dem gelben Ortsschild steht mein heutiges Synonym für Glück: Hohwacht. Ich bin angekommen.
„Kaffee?“, fragt mich Hoteldirektor Marco Gruber, den ich im Hotel Hohe Wacht treffe. „Sehr gern“, sage ich und lasse mich in einen der roten, karierten Polstersessel fallen. Im Hintergrund füllen ein paar leise Klänge den Raum, mein Blick fällt auf den weißen Flügel im Foyer. Ich stelle mir vor, wie gemütlich es hier an grauen Herbsttagen sein muss, wenn jemand am Flügel sitzt und das Holz im Kamin dazu knistert.
Aber heute ist keiner dieser grauen Tage – der Himmel ist strahlendblau, die Sonne zeigt sich so spät im Jahr noch einmal von ihrer schönsten Seite. Das einzig Graue ist mein Schal, den ich mir umlege, bevor ich den letzten Schluck Milchkaffee nehme. Vom Hotel sind es nur wenige Treppenstufen bis zum Meer hinunter – oder besser gesagt: zur Hohwachter Flunder, die hier in die Ostsee hinausragt.
Seit einem guten Jahrzehnt ist sie das Wahrzeichen von Hohwacht: eine Seeplattform, die – buchstäblich platt wie eine Flunder – über dem Uferwasser thront. Wobei ich mich korrigieren muss: Sie ist das menschengemachte Wahrzeichen des 900-Einwohner-Dorfes, es gibt auch noch ein von der Natur geschenktes – die Steilküste, die sich am Strand rechts der Flunder erhebt.
Kein Haus ist höher als die Bäume
Ich laufe den Strand nach links. Im Sommer stehen hier viele bunte Strandkörbe, denke ich. Wahrscheinlich sind hier dann auch viele bunte Menschen unterwegs, denke ich weiter und finde nicht schlimm, dass es jetzt gerade nicht so ist. Ein Mann geht mit seinem Hund an der Wasserkante spazieren, ein älteres Ehepaar hält Händchen – und einer versucht, einen Drachen steigen zu lassen. Das bin ich, es klappt nur mäßig. Hohwacht hat ganz sicher schon stürmischere Tage erlebt.
Hinter dem Strand erhebt sich der Dünengürtel. Im Gegensatz zu meinem Drachen reicht den Dünengräsern das vorhandene Lüftchen, sie bewegen sich ganz leicht im Wind. An der schmalen Promenade stehen ein paar weiße Häuser, alle sind maximal zwei Stockwerke hoch. Warum? Weil es hier die Regel gibt, nicht höher als die Bäume zu bauen. Ist das nicht schön? Ich besuche eines der Häuser, das Haus am Meer, setze mich mit einem Stück Kuchen vor die Fensterfront und schaue noch ein bisschen auf den blauen Himmel und das blaue Meer, die sich ganz weit hinten am Horizont berühren. Mensch, denke ich, ist ja nicht viel passiert heute. Wie herrlich!
Christoph Karrasch